Seit vier Wochen ungefähr fahre ich dreimal in der Woche ins Übergangswohnheim und unterrichte dort Deutsch. Meine Schülerinnen sind drei junge Frauen um die 20, die vor einigen Wochen aus Eritrea gekommen sind. Sie begrüßen mich strahlend und nötigen mich, mich zu setzen. Dann gibt es erst einmal Tee. In das Teewasser im Wasserkocher werfen sie immer einige Nelken, sodass das Wasser eine leicht rostige Farbe hat und aromatisch duftet. Damit gießen sie dann schwarzen Tee auf, in den sie erstaunliche Mengen Zucker rühren - die einzige Süßigkeit, die ich bisher bei ihnen gesehen habe.
Oft gibt es dann auch noch etwas zu essen - meist eine Art Pfannkuchen mit einer extrem scharfen Sauce, oder Salat, oder auch ein sehr leckeres, süßliches Hefebrot. In jedem Fall wollen Sie mir etwas anbieten, und ich kann ihnen die Gastfreundschaft nicht abschlagen - auch wenn ich oft gar keinen Hunger habe, weil mein Besuch außerhalb meiner eigenen Essenszeiten liegt, verstehe ich, dass sie mir etwas zurückgeben wollen.
Unterhalten können wir uns beim Essen noch nicht, aber das ist egal. Sie schwatzen miteinander, ich höre zu und freue mich, dass sie so fröhlich wirken. Nach ungefähr 20 oder 30 Minuten fangen wir an. Die Frauen holen ihre Collegeblöcke und Stiftemappen und wir beginnen mit einer kleinen Wiederholung. Wir haben mit ganz einfachen Phrasen begonnen. Ich heiße... ich komme aus... ich wohne in... Wenn wir ein Verb lernen, schreibe ich die Präsens-Konjugation in tabellarischer Form auf und markiere die Endungen farbig. Inzwischen achte ich sehr genau darauf, dass die Mädchen mitschreiben und auch korrekt abschreiben - meine Handschrift ist zwar gut, aber eben keine Druckschrift, und die lateinischen Buchstaben sind eindeutig nicht die erste Schrift, sondern fremd. Also korrigiere ich, damit sie nichts falsches lernen. Wir haben Begriffe zur Zeit (Stunden, Tage, Wochen, Wochentage, Monatsnamen) durchgenommen und die Zahlen. Zahlen sind schwierig, weil wir so blöd von hinten nach vorne zählen - einundzwanzig statt zwanzigeins. Aber Übung macht den Meister. Ich habe Supermarkt-Werbezettel mitgebracht und die Namen der wichtigsten Lebensmittel durchgenommen - gleich mit den Preisen (Zahlen üben!), damit sie auch dafür ein Gefühl entwickeln können. Zuletzt haben wir uns verstärkt um Fragen und Antworten gekümmert - inklusive Satzbau mit Verb auf der Zwei (W-Fragen) und auf der Eins (Satzfragen).
Die Mädchen sind unterschiedlich schnell in der Auffassung, aber auch in der Konzentrationsfähigkeit. Eine kann bei weitem nicht so gut lesen wie die anderen und tut sich auch mit dem (lateinischen) Schreiben schwerer. Aber zu dritt gelingt es ganz gut, dass sie sich auch gegenseitig helfen können. Jede Woche geht es ein bisschen besser. Und natürlich sind die Anfangserfolge die schönsten - wenn auf einmal Verständnis dämmert und sie anfangen zu strahlen, weil sie ein Wort oder ein Prinzip verstanden haben.
Ab Montag gehen zwei der drei fünf Stunden täglich in einen zwölf-wöchigen Intensivkurs. Die junge Mutter geht nicht mit, wahrscheinlich weiß sie nicht, wohin mit dem Baby. Ich werde so weitermachen wie bisher - nur dann eben nachmittags. Inzwischen habe ich auch ein bisschen taugliches Lehrmaterial aus Büchern, Heften, Internet zusammengetragen. So lernt die junge Mutter zwar weniger als ihre Freundinnen, wird aber nicht ganz abgehängt. Und die anderen beiden können das, was sie im Intensivkurs lernen, mit mir nacharbeiten und mit ihrer Freundin teilen - ich bin gespannt.