Das erste mal tauchte "Fettlogik überwinden" (Buch und gleichnamiger Blog von Nadja Hermann) in meiner Filterblase bereits im Februar auf - dann aber gleich drei mal in der gleichen Woche. Wenn ich erst heute, 6 Monate später, darüber schreibe, dann weil ich doch einiges an Anlauf nehmen musste, um mich mit meiner eigenen Fettlogik auseinanderzusetzen.
Denn ich war immer schon dick. Bei Nadja Hermann heißt es "dicke Identität". Als Kind habe ich mit 8 und 11 Jahren jeweils vier Wochen in der Kinderkur verbracht, um dort abzunehmen. Allerdings lag es schon damals eher nicht an Süßigkeiten oder zuckerhaltigen Getränken - gab es bei uns zu Hause gar nicht - sondern wohl eher an der Menge. Bei drei Geschwistern herrschte eben immer "Futterneid". Tatsächlich hat sich das alles gut verwachsen, und als ich Abi machte, war ich normalgewichtig - fühlte mich aber dick. Nicht zuletzt, weil meine Mutter mir das ständig suggeriert hat, dabei hatte ich zu diesem Zeitpunkt bloß "Kurven" - also breitere Hüften als Schultern - und war unsportlich, also vielleicht etwas "schwabbelig".
Meine eigentliche Diätkarriere- also selbstgewählt, aus einem Gefühl des Unwohlseins heraus - begann erst mit Mitte Zwanzig. Seitdem habe ich mir viel Wissen, Halbwissen und Unwissen zum Thema Ernährung angelesen. Meine Selbsteinschätzung ist und war: Eigentlich ernähre ich mich gut. Ich koche viel selbst, abwechslungsreich, fettarm und gesund. Obst und Gemüse, wenig Fleisch, regelmäßig Fisch. Natürlich falle ich auf die versteckten Zucker und Fette von industrialisiertem Essen herein, aber durch das viele selbst-frisch-Kochen hält sich das in Grenzen. Ich koche keine Saucen, trinke am Liebsten Wasser und Tee, habe jahrelang mein Müesli selbst gemischt. Aber. Ich esse gerne, besonders wenn es schmeckt -das heißt, meine Portionen sind wahrscheinlich häufig größer als nötig. Und ich bin ein emotionaler Esser - wenn es mir schlecht geht, esse ich. Wenn ich gestresst bin, esse ich. Ich belohne mich mit Essen und tröste mich damit. Und ich bin immer noch unsportlich.
Vor etwa 10 Jahren habe ich anderthalb oder zwei Jahre WeightWatchers gemacht. Ich habe damals etwa 15-20 kg abgenommen, mein niedrigstes Gewicht war wohl um die 75 kg. Dann kam ich nicht mehr weiter.
Als ich im Februar zum ersten Mal von "Fettlogik überwinden" hörte, stand ich bei grob 130 kg. Ich kann für jedes Pfund sagen, wann ich es mir angefressen habe. Immer gab es "gute Gründe" dafür, und obwohl ich oft über lange Phasen mein (Über-)Gewicht halten konnte, habe ich stetig zugelegt.
Das vielleicht-gar-nicht-so-merkwürdige daran ist, wie wenig ich das bemerkt habe. Möglicherweise, weil ich keinen Spiegel habe, in dem ich mich von Kopf bis Fuß sehen kann. Möglicherweise, weil es nicht sehr viele Fotos von mir gibt. Nicht mehr leugnen ließ es sich, als ich anfing, nicht mehr in bestimmten Stühlen sitzen zu können, weil die Armlehnen mich einengten - im Kino, in der Bahn, in Restaurants. Die Badewanne wurde eng und enger. Irgendwann kam ich die Treppen nur noch hoch, wenn ich mich zugleich am Geländer hochzog - die Kraft in den Beinen reichte sonst nicht aus. Ich konnte mein Übergewicht auch vor mir selbst nicht mehr verheimlichen. Ich konnte aber - aus Gründen - damals auch nicht dagegen angehen. Also versuchte ich es mit "Bodypositivity" - wenn ich schon dick bin und weiß, dass ich aus Frust esse, muss ich den Frust nicht noch durch Selbsthass nähren. Zu dem Zeitpunkt war das auch die richtige Entscheidung - aber abgenommen habe ich davon auch nicht.
Und im Februar, als ich das Buch/den Blog entdeckte, ging das auch nicht, denn ich war im 6. Monat schwanger.