@novemberregen (https://novemberregen.blogger.de/) hatte sich nämlich gewünscht, Bilder - und zwar im engeren Sinne Bilder, die im Museum hängen, also sogenannte "Kunst" - erklärt zu bekommen. Oder vorgestellt. Und so vielleicht im Vorbeigehen, ein bißchen niedrigschwellig, quasi per Osmose, etwas dazuzulernen.
Und weil sie Frau Direktorin @novemberregen ist, hat sie die Aktion auch organisiert, oder koordiniert, oder jemanden gefunden, der oder die das organisiert und koordiniert, und deshalb gibt es ein öffentliches google-Dokument, bei dem sich allerlei Freiwillige bereit erklärt haben, einmal pro Woche etwas über Kunst zu sagen.
Hashtag: #kunstderwoche
https://docs.google.com/document/d/1LfLolqSlAfU7yknx2I72lO52We3D4AV_LK2tEZgZSsg/edit
Und heute bin ich dran.
Artemisia Gentileschi begegnete mir erstmalig im Kunstgeschichtsstudium. Ich weiß nicht mehr warum und in welchem Kontext, aber damals(TM) -Ende der 1990er Jahre- hatte ich einen Professor, der sehr gegen feministische Kunstgeschichte wetterte. Manchmal gab es Seminare, in denen ein Werk oder ein Künstler oder eine Epoche aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven betrachtet wurde, und dann musste jemand ein "feministisches" Buch lesen, und wehe, man fand das einleuchtend, dann machte der Professor sich erst über dich und dann über die feministische Kunstgeschichtsforschung lustig.
Und aus Gründen, die ich gar nicht mehr genau zusammenkriege, ist Artemisia Gentileschi die Künstlerin, bei der ich erstmalig verstanden habe, was es mit dem "male gaze", dem männlichen Blick auf Kunst, auf Künstler und auch auf die Kunstgeschichte als Fach, auf sich hat.
Aber fangen wir vorne an.
Selbstporträt Gentileschis, 1638–39 |
Sie war sehr erfolgreich, vor allem mit klassischen "Frauenthemen": Madonnen, Maria Magdalena, Kleopatra (hier beim Selbstmord per Giftschlange)
Kleopatra, um 1611–1612 |
Danae (beim Sex mit Zeus in Gestalt eines Goldregens. Weiß der Himmel, was die Magd im Hintergrund will -- vielleicht erkennt sie den Gott nicht, oder es ist eine frühe Kritik am Kapitalismus - Gold ist geil? naja, wahrscheinlich nicht)
Danaë, um 1611–1612 |
und andere Frauenporträts.
Selbst Laien wird die Ähnlichkeit zwischen den beiden Bildern auffallen (beide sind aus dem Jahr 1611-12) -- Artemisia war Malerin, und sie musste mit ihrer Malerei Geld verdienen . Es gab nicht einen vernünftigen Grund, ein erfolgreiches, beliebtes Motiv nicht mehrfach zu verwerten, und das galt auch für erfolgreiche Bildformeln (Ikonographie). Das ist auch nicht anders als in der Literatur.
Und bevor man hier jetzt aus der heutigen Zeit heraus behauptet, sie habe sich sozusagen protofeministisch besonders für Frauen und deren Belange interessiert, sei an den entstehungsgeschichtlichen Kontext erinnert. Wir befinden uns im Barock. Artemisia hat bereits einen schlechten Ruf im Umgang mit Männern abzuschütteln. Und sie ist eine der wenigen Frauen, die sich im höchsten Genre der Malerei behaupten will - und kann: der Historienmalerei.
(Die Malerei war bis weit ins 19. Jahrhundert einigermaßen hierarchisch organisiert nach Themen und dem vermeintlichen Schwierigkeitsgrad. Stilleben und Landschaften waren unbelebt und galten als vergleichsweise einfach (und angemessener für Frauen), Tiere und Menschen waren schwieriger, vor allem in Bewegung. Königsdisziplin war das auch thematisch "wertvolle" Historienbild, wobei nicht zwischen historischer, mythischer und religiöser Geschichte unterschieden wurde -- im Zweifel wurde ohnehin alles noch um eine weitere allegorische (= höhere) Bedeutungsebene erweitert.
Kernstück der Historienmalerei war aber die Darstellung von menschlichen Körpern in Bewegung und Interaktion miteinander -- und damit jeder sehen konnte, wie naturgetreu man die Anatomie darstellen konnte, waren die Figuren gerne mal ohne weitere Motivation unbekleidet...
Und dafür brauchte man Modelle.
Und als Frau, noch dazu als Frau mit "Vorgeschichte", kam Artemisia wahrscheihnlich nicht sehr gut an männliche Modelle heran. Weibliche Modelle hingegen - kein Problem. (Das galt auch umgekehrt, übrigens, wenn man sich beispielsweise einmal eine der hypermuskulösen Frauendarstellungen von Michelangelo betrachtet, so hat er wahrscheinlich an einem männlichen Modell die Anatomie "angepasst"...)
Wenn Artemisia also Historienbilder malen wollte, und der Zugang zu männlichen Modellen entweder unmöglich oder sehr eingeschränkt war, blieben eben nur Themen mit weiblichen Protagonisten -- und davon gibt es eben nur eine beschränkte Auswahl.
Und nun kommen wir endlich zum "male gaze", dem männlichen Blick.
Betrachten wir einmal eines ihrer berühmtesten Bilder, Susanna und die Ältesten von 1610:
Susanna und die Ältesten, 1610, 170×121 cm,Öl auf Leinwand, Pommersfelden, Schloss Weißenstein, Schönbornsche Kunstsammlung |
In der traditionellen, männlich geprägten Malerei wurde diese Geschichte häufig so dargestellt wie in diesen beiden Beispielen von Tintoretto aus den 1550er Jahren.
J. T.: Susanna im Bade (c. 1550–1560), Louvre |
J. T.: Susanna und die Älteren (um 1552–1555), Museo del Prado |
Ich bin kein Fan von allzu biographischen Interpretationen von Kunst, aber es ist wohl kein Zufall, dass die Entstehungszeit um 1610 in die Zeit ihrer Vergewaltigung fällt. Es fällt schwer, in diesem Bild nicht einen #Aufschrei, ein #metoo zu sehen, und eine große Identifikation der Malerin mit der Situation der Susanna. Wie diese ließ sie sich nicht durch Victim Blaming zum Schweigen bringen, trug die Konsequenzen und litt zeitlebens darunter. Wie für Susanna ging es in ihrem Fall gut aus, aber das konnte sie zum Zeitpunkt des Malens nicht wissen. War es dieses Bild, das ihren Vater über die Vergewaltigung informierte? Möglich. Ich war nicht dabei, wir werden es nicht erfahren.
Ihre berühmten Judith-und-Holofernes-Darstellungen als reine Rachegelüste zu interpretieren, wie ebenfalls häufig geschehen, halte ich allerdings für übertrieben - wobei, was weiß ich schon.
Judith enthauptet Holofernes, um 1612 |
Vielleicht ist das tatsächlich eine Drohung an den männlichen Betrachter - Sex ist eine Waffe, die beide Seiten einsetzen können, und die auch die Mächtigen zu Fall bringen kann? Vielleicht half es Artemisia ihr Trauma zu überwinden, indem sie sich mit der starken, selbstbewussten und sexuell selbstbestimmten Judith identifizierte? Stellte sie diese deshalb aktiv dar, im Akt des Köpfens, statt traditionell passiv, nach der Tat mit dem Kopf in der Hand, Schwert und Kleidung sorgsam gereinigt, wie hier bei Cranach?
Lucas Cranach der Ältere: Judith mit dem Haupt des Holofernes, um 1530, Kunsthistorisches Museum, Wien |
http://syndrome-de-stendhal.blogspot.com/2012/07/barock-splatter.html
Ich hingegen gebe für heute zurück ans Publikum. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit - bei Fragen nutzen Sie gerne die Kommentare (habe ich die Kommentarfunktion offen?) oder finden Sie mich auf Twitter unter @bleistifterin #kunstderwoche
Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Artemisia_Gentileschi
https://de.wikipedia.org/wiki/Susanna_im_Bade
https://de.wikipedia.org/wiki/Judith_und_Holofernes_(Sujet)
Literatur:
Garrard, M: Artemisia Gentileschi: The Image of the Female Hero in Italian Baroque Art,
Princeton University Press, 1989
Princeton University Press, 1989